Prof. Dr. med.
Friedhelm Tropberger
Richter
Dr. jur. Michael Balke
Beschneidung:
Ein Auslaufmodell im Rechtsstaat
Ein Auslaufmodell im Rechtsstaat
Anträge und mögliche Beschlusstexte
in zwei Modulen:
1) Der
Landesparteitag NRW der Alternative für Deutschland (AfD NRW, 30.11./1.12.2013)
möge beschließen:
Die AfD NRW setzt sich als Grundgesetzpartei für die
Durchsetzung des verfassungsgeforderten Rechts auf körperliche Unversehrtheit,
insbesondere für Kinder, ein. Die AfD NRW will Kinder per Gesetz vor religiös
motivierten Körperverletzungen schützen, sie will medizinisch unnötige
Beschneidungen verhindern. Die AfD NRW tritt deshalb für die Abschaffung des gegenläufigen
§ 1631d BGB ein (dazu die höherrangigen Vorschriften der Artikel 2 Absatz 2
Satz 1 GG in Verbindung mit den Artikeln 140 GG und 136 Absatz 4 WRV; Artikel
24 Absatz 3 UN-Kinderrechtskonvention).
2) Falls der Landesparteitag NRW der AfD
den unter 1) benannten Beschluss wegen einer fehlender Übergangszeit (=
sofortiges Beschneidungsverbot) ergänzen will, möge er danach beschließen:
Es wird eine zweijährige
Übergangszeit gewährleistet. Die AfD NRW befürwortet ein zeitlich begrenztes
Moratorium von zwei Jahren, währenddessen die Beschneidung von Kindern in nicht
einwilligungsfähigem Alter als tatbestandslos gewertet wird, wenn folgende
Bedingungen analog der Mindestanforderungen des Ethikrates1 erfüllt
sind:
- Durch eine
Bescheinigung wurde nachgewiesen, dass sich die Erziehungsberechtigten
mindestens drei Tage vor dem Eingriff haben umfassend beraten lassen (über
kulturelle und rechtliche Aspekte, über Alternativen etc.),
- Beide
erziehungsberechtigten Elternteile haben schriftlich ihre Zustimmung erklärt,
- Der Eingriff wurde von
einem Arzt fachgerecht, nach vorheriger medizinischer Aufklärung und unter
qualifizierter Schmerzbehandlung (Narkose) vorgenommen, und
- Ein
entwicklungsabhängiges Vetorecht des Betroffenen wurde beachtet.“
Hintergrund:
Durch die Entscheidung des Landgerichts Köln vom 7.5.2012 (Aktenzeichen
151 Ns 169/11), wurde klargestellt, dass die Beschneidung eines nicht
einwilligungsfähigen Kindes den Tatbestand des § 223 StGB (Körperverletzung)
erfüllt bzw. von § 226 StGB (Schwere Körperverletzung)2 erfüllen
kann.
Der Gesetzgeber hat inzwischen den § 1631d BGB, Beschneidung
des männlichen Kindes, eingefügt, um innerhalb der strafrechtlichen Würdigung
einen Rechtfertigungsgrund vorzuhalten, der in der Regel zur Straflosigkeit der
Beschneidung führt soll:
„(1) Die Personensorge umfasst auch das Recht, in eine
medizinisch nicht erforderliche Beschneidung des nicht einsichts- und
urteilsfähigen männlichen Kindes einzuwilligen, wenn diese nach den Regeln der
ärztlichen Kunst durchgeführt werden soll. Dies gilt nicht, wenn durch die
Beschneidung auch unter Berücksichtigung ihres Zwecks das Kindeswohl gefährdet
wird.
(2) In den ersten sechs Monaten nach der Geburt des Kindes
dürfen auch von einer Religionsgesellschaft dazu vorgesehene Personen
Beschneidungen gemäß Absatz 1 durchführen, wenn sie dafür besonders ausgebildet
und, ohne Arzt zu sein, für die Durchführung der Beschneidung vergleichbar
befähigt sind.“
Nach der umstrittenen Änderung des Bürgerlichen Gesetzbuchs
wird erneut aufgrund der Entscheidung des Oberlandesgerichts Hamm vom 30.8.2013
(Aktenzeichen 3 UF 133/13, bekanntgemacht am 25.9.2013) öffentlich debattiert;
das Oberlandesgericht Hamm hat die Beschneidung untersagt, zum einen weil die voneinander
geschiedenen Elternteile sich über die Beschneidung ihres sechsjährigen Kindes
nicht einig waren, zum zweiten, weil das Kind evangelisch getauft ist und weil
es seinen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat.
Rechtsstaatliche
Positionierung:
Wir begrüßen das Urteil des Landgerichts Köln, insbesondere
die in der Urteilsbegründung zum Ausdruck gebrachte rechtsstaatliche Position,
die festhält, dass
„dem Recht der Eltern auf religiöse Kindererziehung in
Abwägung zum Recht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und auf
Selbstbestimmung kein Vorrang zukomme, so dass mit der Einwilligung in die
Beschneidung ein Widerspruch zum Kindeswohl festzustellen sei.“3
Unser Grundgesetz
(GG) und die UN-Kinderrechtskonvention schützen Kinder vor religiösen
Beschneidungen.4
Anmerkungen
zur konkreten Umsetzung des möglichen Beschlusses zu 1) - sofortiges Verbot der
Beschneidung - :
Wir fordern die sofortige Streichung des § 1631d BGB. Wir
fordern auch – zur Klarstellung - die Einfügung eines neuen Paragraphen im Strafgesetzbuch
(Straftaten gegen die die körperliche Unversehrtheit) mit folgendem Wortlaut:
„Wer bei einem Kind unter 14 Jahren eine Beschneidung
(Zirkumzision bzw. Kliteropexie)5 durchführt oder durchführen lässt,
begeht eine strafbare Handlung. Ausgenommen sind Handlungen, die aufgrund einer
medizinischen Indikation durchgeführt werden.
Ein besonders schwerer Fall liegt in der Regel vor, wenn der
Täter gegen den Willen des/der Betroffenen handelt oder leichtfertig die Gefahr
des Todes oder einer schweren Gesundheitsschädigung des/der Betroffenen
verursacht.“
Darüber hinaus gehende Genitalverstümmelungen (wie
Klitoridektomie, Exzision oder Infibulation) werden nach wie vor als
gefährliche bzw. schwere Körperverletzung geahndet.
Vorteile des
Sofortvollzugs:
- Der Gesetzgeber erklärt unmissverständlich,
dass die Beschneidung nicht einwilligungsfähiger Kinder eine rechtswidrige und
strafbare Handlung darstellt.
- Beschneidungen aus medizinischer Indikation
(z. B. Phimosen) bleiben straffrei.
- Genitalverstümmelungen wie Klitoridektomie,
Exzision oder Infibulation werden von dieser Regelung nicht betroffen und
gelten weiter als gefährliche bzw. schwere Körperverletzung.
Anmerkungen
zur konkreten Umsetzung des möglichen Beschlusses zu 2) - zweijährige
Übergangszeit - :
Im Wahlprogramm der AfD haben wir uns eindeutig zur
Integrationspolitik positioniert: „Wir fordern eine Neuordnung des
Einwanderungsrechts. Deutschland braucht qualifizierte und integrationswillige
Zuwanderung“6
Ein sofortiges, generelles Beschneidungsverbot bedeutet für
viele Menschen in unserem Land, darunter 4.300.000 Muslime und 200.000 Juden,
einen erheblichen Eingriff in die bislang üblichen Praktiken ihrer Religion. Da
viele von ihnen zudem einen Migrationshintergrund haben, besteht die Gefahr
ihrer Ausgrenzung und Kriminalisierung, stößt es das Tor auf zu Beschneidungen
im Hinterzimmer und Beschneidungstourismus.
Bei einem derart emotionalisierenden Thema ist es äußerst
schwierig, eine konsensfähige, sachlich begründete, politische durchsetzbare
und zugleich praktikable Position zu entwickeln. Denn festzuhalten ist: Wir
haben es hier mit einem Fundamentalkonflikt von Grundrechten zu tun. Das
Elternrecht auf Bestimmung von Religionszugehörigkeit auf der einen, die
körperliche Unversehrtheit eines Kindes und dessen Selbstbestimmungsrecht auf
Religionsfreiheit auf der anderen Seite. Da kann es keine Lösung geben, bei der
nicht die eine oder die Seite reklamiert, dass Grundrechte verletzt worden
sind. Daher favorisieren wir ein zeitlich abgestuftes Verfahren, dass keine der
beiden Positionen aufgibt:
Durch einen Paragraphen im StGB wird die Rechtswidrigkeit
und Strafbarkeit der Beschneidungen (Zirkumzision bzw. Kliteropexie) von unter
14jährigen Kindern festgestellt und zugleich ein zeitlich befristetes
Moratorium (ähnlich wie in der Bundestags-Petition 26078 gefordert)7
eröffnet. Währenddessen wird durch einen weiteren Paragraphen für eine Übergangszeit
die Tatbestandslosigkeit unter strengen Auflagen definiert.
Vorteile der
Übergangsfrist:
- Der Gesetzgeber erklärt, dass die Beschneidung
nicht einwilligungsfähiger Kinder nur noch für eine Übergangszeit von 2 Jahren
zu keiner Strafverfolgung führen muss.
- Eine unreflektierte Durchführung
traditioneller Praktiken wird jedoch sofort gestoppt.
- Durch eine Pflichtberatung neben der
ärztlichen Aufklärung werden zuvor beide (!) Eltern über mögliche persönliche
und soziale Auswirkungen und Risiken, Nebenwirkungen, kulturelle Integration
oder Desintegration etc. aufgeklärt.
- Durch die Aufnahme des entwicklungsabhängigen
Vetorechts ist keine Beschneidung gegen einen rechtsrelevanten Widerspruch des
Kindes möglich.
- Die Beschneidungen finden während des
Moratoriums nur noch unter hygienisch-sterilen Bedingungen statt und werden nur
von einem Arzt, auch unter Kontrolle etwaiger Kontraindikationen
(Gerinnungsstörung, floride Entzündung im OP-Gebiet etc.) durchgeführt.
- Die Zugehörigkeit zu einer Religion und die
Befürwortung ihrer Praktiken führen nicht zu Ausgrenzung und Kriminalisierung;
die Religionsgemeinschaften bekommen Zeit, Alternativen zu entwickeln.8
- Es wird weder Beschneidungen im Hinterzimmer noch
Beschneidungstourismus geben.
Anmerkungen,
Quellen, Material, argumentative Ergänzung:
1 Zu
den Mindestanforderungen des Ethikrates siehe:
2 Video
zur Illustration des Tatbestands (Beschneidung eines Babys):
3 Siehe dazu: http://openjur.de/u/433915.html
4 Siehe dazu auch: http://www.youtube.com/watch?v=MRz2dPEYQLo
5 Zur
Begrifflichkeit siehe: http://de.wikipedia.org/wiki/Beschneidung_weiblicher_Genitalien
6 Wahlprogramm
der Alternative für Deutschland. Parteitagsbeschluss vom 14.04.2013, S. 4
8 Im
Islam wird kein Zeitpunkt für die Beschneidung vorgeschrieben. Anders im Judentum,
dort wird die Beschneidung am 8. Tag nach der Geburt gefordert. Aber selbst
unter Juden wird schon länger eine Alternative diskutiert und gelegentlich auch
bereits praktiziert: die symbolische Beschneidung (Brit Shalom).
Argumentative Ergänzung
Gil Yaron, ein jüdischer Arzt, berichtete am
22.7.2012 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung (Seite 3) über „unsere
seltsame Tradition“, über den „Brith“, über die aus dem ersten Buch Moses
abgeleitete religiöse Pflicht, den Sohn am achten Tag zu beschneiden. Darüber,
dass die Schwester des jüdischen Arztes ihren Sohn nicht beschneiden lassen
wollte sowie, dass die Familie Argumente sammelte, um sie umzustimmen. Yaron
fand kein überzeugendes Argument für die Knabenbeschneidung; er fand vielmehr
eine andere Bibelstelle, nach der die Beschneidung kein religiöser Akt, sondern
eine Kriegslist war. Yaron wird nun selbst Vater eines Sohnes und bekennt sich
zu Folgendem:
„Das Urteil der
nichtjüdischen Richter in Köln sollte Anlass für zwei urjüdische Akte sein:
nachdenken und diskutieren. Wir brauchen keine Rechtssicherheit, sondern eine
Denkpause. Juden sollten die kommenden 15 Jahre in Deutschland nutzen, um sich
zu vergegenwärtigen, warum sie ihre Söhne beschneiden: ob sie das wirklich
wollen oder nur aus Angst davor tun, anders zu sein. Die Feier des Brith am
achten Tag nach der Geburt könnte ein wichtiger symbolischer Akt werden, in dem
der Vater nicht seinen Sohn zu seiner Religion verdonnert, sondern sich selbst
dazu verpflichtet, ihm ein bedeutungsvolles Judentum vorzuleben und zu
übermitteln. Wenn meine Erziehung zum Judentum dazu führt, dass mein Sohn eines
Tages als mündiger, überzeugter Jude von seinem Vater fordert, ihn endlich zu beschneiden,
dann werde ich seinen Wunsch erfüllen, mit Liebe, Stolz und Schmerz. Aber nicht
früher“.
Eine Denkpause hätte dem Deutschen Bundestag wohl auch gut
getan. Denn die Resolution des Bundestages vom
19.7.2012, nach der die religiöse Beschneidung männlicher Kinder im Nachgang
legalisiert worden ist, verstößt gegen unser Grundgesetz. Eine große Mehrheit
der Damen und Herren Gesetzgeber missachtet das Recht des Kindes auf körperliche
Unversehrtheit und sein Selbstbestimmungsrecht einschließlich seiner künftig
auszuübenden Religionsfreiheit. Obwohl das Landgericht Köln in seiner
Entscheidung vom 7.5.2012 (Aktenzeichen 151 Ns 169/11) schon darauf hingewiesen
hatte, werden zudem übersehen die Spezialvorschriften der Artikel 140 GG,
Artikel 136 Absätze 1 und 4 der Weimarer Reichsverfassung vom 11.8.1919, nach
denen Folgendes geregelt ist “Die
bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten werden durch die
Ausübung der Religionsfreiheit weder bedingt noch beschränkt”. Und: “Niemand
darf zu einer kirchlichen Handlung oder Feierlichkeit oder zur Teilnahme an
religiösen Übungen oder zur Benutzung einer religiösen Eidesform gezwungen werden”.
Dass die UN-Kinderrechtskonvention (am 5.4.1992 für
Deutschland in Kraft getreten, Bekanntmachung vom 10.7.1992, Bundesgesetzblatt
Teil II Seite 990) Kinder ebenso vor Verletzungen bewahren will, sollte nicht
unerwähnt bleiben: nach dem dortigen Artikel 3 Absatz 1 ist bei allen
Maßnahmen, die Kinder betreffen, „das Wohl des Kindes ein Gesichtspunkt, der
vorrangig zu berücksichtigen ist“; nach Artikel 14 Absatz 1 haben die
Vertragsstaaten auf „das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und
Religionsfreiheit“ zu achten; nach Artikel 19 Absatz 1 haben die
Vertragsstaaten alle geeigneten Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Sozial- und
Bildungsmaßnahmen zu treffen, „um das Kind vor jeder Form körperlicher oder
geistiger Gewaltanwendung, Schadenszufügung oder Misshandlung“ zu schützen;
nach Artikel 24 Absatz 3 haben die Vertragsstaaten alle wirksamen und
geeigneten Maßnahmen zu treffen, „um überlieferte Bräuche, die für die
Gesundheit der Kinder schädlich sind, abzuschaffen“. Auf dieser Grundlage sind wir für die
Abschaffung des § 1631d BGB.